Die Digitalisierung ist inzwischen in nahezu alle unserer Lebensbereiche vorgedrungen. Diese Entwicklung ist keineswegs neu. Auffallend ist allenfalls die Geschwindigkeit und Heftigkeit, mit der sich die Digitalisierung nun Bahn bricht. Dazu tragen neue Technologien bei, aber auch neue Arbeitsweisen, Organisationsstrukturen (z.B. Innovation Labs) und – noch wichtiger – eine offenere Denkweise auf allen Seiten (Kunden, Gründer, Investoren, Management, Mitarbeiter, Aufsichtsbehörden, politische Entscheidungsträger, Gesetzgeber usw.).
Ein wesentlicher Treiber der Veränderung ist die Entstehung von digitalen Ökosystemen. Diese basieren auf bekannten sowie neuen und innovativen Technologien. Entscheidend für den aktuellen Umbruch ist jedoch ein verändertes Verständnis bzw. Neudenken von Geschäftsmodellen. Während Unternehmen traditionell den Fokus auf die eigenen Kundinnen und Kunden legen und verhindern, dass Wettbewerber in die eigene Wertschöpfungskette eindringen, hat sich nunmehr eine differenziertere Auffassung entwickelt.
Inzwischen gibt es Rollenmodelle, in denen sich ein Unternehmen auf eine oder mehrere Rollen in einem Wertschöpfungsnetzwerk beschränkt, mit anderen Unternehmen kooperiert und sich bewusst in dieses Ökosystem integriert. Alternativ baut ein Unternehmen selbst ein solches System auf, führt es und integriert andere (komplementäre und nicht-komplementäre) Unternehmen. Dabei soll der Nutzen für alle Beteiligte jedenfalls (deutlich) größer sein, als wenn jedes Unternehmen einzeln tätig ist. Damit steigt natürlich auch die Komplexität hinsichtlich Strategie, Governance, Kommunikation, Logistik usw. in diesen Ökosystemen an. Die Realisierung derartiger Systeme ist ohne Digitalisierungstechnologien nicht möglich. Wir sprechen daher von digitalen Ökosystemen.
Die Thematik der digitalen Ökosysteme ist vielschichtig. Diese Systeme können aus mehr oder weniger gleichberechtigten Partnern auf lokaler Ebene bestehen, aber auch von übermächtig erscheinenden, weltweit tätigen Unternehmen dominiert werden. Beispiele sind die Ökosysteme, die von Amazon, Alibaba, Apple, Baidu, Facebook, Google, Tencent etc. betrieben werden. Diese Unternehmen verfügen über eine Marktmacht, die ganze Branchen bedroht oder gar vernichten kann.
Ein anderer Fokus entsteht, wenn sich funktionale digitale Ökosysteme entwickeln. Beispiele finden sich im Gesundheitsbereich (bestehend aus u. a. Kunden, Apotheken, Kliniken, Lieferdiensten, Pharmaunternehmen, Zulieferern in vielen Ländern) und im Zahlungsverkehr (bestehend aus u.a. Kunden, Händlern, Payment-Service-Providern, Netzbetreibern, Kartenorganisationen, Banken). Andere Ökosysteme wiederum bestehen – fast wie bei einer biologischen Symbiose – aus etablierten Unternehmen (Incumbents) und Neo-Unternehmen (Fintechs, Insurtechs etc.).
Die zunehmende Vernetzung in Form von digitalen Ökosystemen führt zum Verschwimmen traditioneller Unternehmens- und Branchengrenzen und ist damit hochrelevant für die Entwicklung von Unternehmensstrategien sowie die Ausgestaltung gesetzlicher Rahmenbedingungen. Aus dieser Sicht ist es essenziell, dass sich Unternehmen möglichst vorteilhaft im eigenen Ökosystem bzw. in anderen Ökosystemen positionieren. Damit ändern sich zwangsläufig die Geschäftsmodelle der Unternehmen. Auch ist zu berücksichtigen, dass bei digitalen Ökosystemen regionale oder nationale Grenzen immer weniger eine Rolle spielen.
Darüber hinaus haben Daten in digitalen Ökosystemen eine zentrale Bedeutung. Die Nutzung von Daten bringt viele Chancen, aber auch große Herausforderungen mit sich. Daten sind nicht gleich Daten. Sie müssen normiert und zur Nutzung weiterentwickelt werden. Sie müssen ausgetauscht und gespeichert werden. Und v.a. müssen sie geschützt und gesichert werden. Eine effiziente und zielgerichtete Nutzung von Daten über Kunden, Kooperationspartner, Wettbewerber etc. ist daher wesentlich. Daten werden in Clouds gespeichert und Unternehmen sowie Kunden sind durch das Internet of Things (IoT) stärker denn je miteinander vernetzt.
Eine große Rolle spielt dabei die Verwendung von Data Analytics, die es erlaubt, große Mengen von Daten auszuwerten und Daten auf diese Weise beispielsweise für Vorhersagen nutzbar zu machen. Zudem wird der Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI) sowohl zur Erhebung als auch zur Auswertung von Daten selbstverständlich werden. Der korrekte Umgang mit Daten ist einer der wichtigsten Eckpfeiler digitaler Ökosysteme. Eine weitere wesentliche Komponente von digitalen Ökosystemen besteht in der Konzeption und Implementierung von Plattformen und der Nutzung der dafür notwendigen Technologien. Das beginnt mit den grundlegenden Softwarebausteinen für Plattformen und reicht bis zum Einsatz von Cloud-Diensten, modernen IT-Schnittstellen, hochperformanter Hardware etc. Gemeinsam mit Daten bilden Plattformen die technologische Basis für digitale Ökosysteme. Nur wenn der Zugang zu Plattformen und angeschlossenen Systemen technisch einfach möglich ist, können Ökosysteme ihr volles Potenzial entfalten.
Digitale Ökosysteme, der Umgang mit Daten und die nötigen Plattformen sind die zentralen Themen dieses Buches. Dazu haben wir das Werk in drei Blöcke gegliedert. Diese Gliederung erscheint uns sinnvoll, um der Vielschichtigkeit des Themas gerecht zu werden. Zu Beginn eines jeden Teils findet sich eine kurze Einführung.
Die Struktur des Buches sieht folgendermaßen aus:
- Der Teil „Strategien und Geschäftsmodelle“ behandelt die Themenfelder Business Cases, Kundenerlebnis, Netzwerkeffekte, Partner, Zahlungsdienste und Start-ups.
- Der Teil „Künstliche Intelligenz und Daten“ beschreibt die für Ökosysteme zentralen Aspekte Data Analytics, Big Data, Datenschutz und -sicherheit, Algorithmen und Machine Learning.
- Der Teil „Plattformen und Technologien“ erläutert die Arten von digitalen Plattformen, Schnittstellen, Cloud Computing und Blockchain.
Mit diesem Buch möchten wir Sie auf eine Reise durch die Welt der digitalen Ökosysteme mitnehmen. Zu diesem Zweck haben wir eine Reihe von Experten eingeladen, ihre Gedanken, Lösungsansätze und Einschätzungen in Beiträge zu fassen und zu teilen. Der Expertenkreis setzt sich aus Vertretern von etablierten, großen Unternehmen und jungen, aufstrebenden Unternehmen sowie aus auf Digitalisierungsthemen spezialisierten Beratern und Wissenschaftlern zusammen.
Wir bedanken uns bei allen Autoren ganz herzlich für die Bereitstellung ihrer Erfahrungen und ihr großes Engagement, durch das sie zum Gelingen dieses Buchs beigetragen haben. Auch möchten wir Frau Dorothee Bär, Staatsministerin im Bundeskanzleramt und Beauftragte für Digitalisierung, herzlich für ihr freundliches Geleitwort zu diesem Buch danken. Darüber hinaus geht unser Dank an Frau Catharina Münch, die hingebungsvoll über Monate mit den Autoren kommuniziert, Texte redigiert und für die Termineinhaltung gesorgt hat. Vielen Dank auch an das Team dahinter mit Lisa Knörrer, Florian Schneider, Dr. Stefan Röder, Jan Pilgram, Lena Feulner und weiteren. Herrn Dr. Thomas Lorenz danken wir für die wiederum konstruktive Begleitung des Buchprojekts von Seiten des Frankfurt School Verlags.
Wir hoffen, dass dieses Sammelwerk zu einem guten Verständnis der aktuellen Herausforderungen und Chancen im Zusammenhang mit digitalen Ökosystemen beiträgt. Wir würden uns freuen, wenn die Beiträge Handlungsimpulse geben und weitere Denkanstöße liefern. In diesem Sinne wünschen wir allen Lesern eine anregende Lektüre, interessante Erkenntnisse und viel Erfolg bei der praktischen Umsetzung.
Bayreuth, Köln, Frankfurt a.M., Bad Homburg v.d.H., im Juni 2021
DIETER KNÖRRER/MARCUS W. MOSEN/JÜRGEN MOORMANN/DIETMAR SCHMIDT