1 Ausgangslage, Fragestellung, Aufbau
Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit der Verbreitung von Mitarbeiterbefragungen (MAB) in deutschen Krankenhäusern und betrachtet in diesem Kontext deren Isomorphie, also die Angleichung der MAB und ihrer Anwendungskontexte aufgrund von äußeren Einflussfaktoren. In Bezug auf MAB wird dabei deren Struktur und die Art der Durchführung betrachtet, wobei die Aspekte der Verbindlichkeit des Vorgehens und der Partizipation der Mitarbeiter1 im Vordergrund stehen.
Die grundlegende Frage, die im Rahmen dieser Arbeit beantwortet werden soll, lautet: Stellen MAB in Krankenhäusern lediglich Fassaden dar - wobei die Befragungen selbst weitestgehend wirkungslos bleiben - oder sind MAB in Krankenhäusern ein wirkungsvolles Instrument und damit mehr als eine Fassade? Unterschiede in der Wirksamkeit von MAB, die an Aspekten der Struktur und Art der Durchführung (Berücksichtigung wichtiger Erfolgsfaktoren) sowie an der Partizipativität des Vorgehens festgemacht werden, sollen dabei anhand von Faktoren der organisatorischen und institutionellen Umwelt (organisationales Feld) erklärt werden. Dabei bildet der neoinstitutionalistische Theorieansatz den Rahmen.
Seit der Jahrtausendwende haben sich MAB in den deutschen Krankenhäusern stark verbreitet. Dieser Boom fällt zeitlich mit der verpflichtenden Einführung eines Qualitätsmanagements (QM) in Krankenhäusern zusammen, wie es im Sozialgesetzbuch V seit dem Jahr 2000 vorgeschrieben ist (Haeske-Seeberg 2008: 190). Es handelt sich dabei nicht um eine kurzlebige Mode, denn die Verbreitung von MAB scheint seit zehn Jahren auf einem hohen Niveau zu verharren. Diese Aussage bezieht sich allerdings nur auf die quantitative Verbreitung von MAB; welche Qualität von MAB bezüglich ihrer Wirksamkeit dahinter steht, wird im Rahmen dieser Arbeit zu erörtern sein.
Die beschriebene Stabilität der hohen Verbreitung hängt scheinbar mit der institutionellen Einbettung von MAB im Rahmen des Qualitätsmanagements zusammen (Wissing 2008). Diese geht wiederum auf die institutionelle Verankerung des Qualitätsmanagements als gesetzlich definierte Aufgabe von Krankenhäusern zurück (siehe oben). Die Verbreitung des Instruments MAB ist also im Kontext der Einführung von Qualitätsmanagement in Krankenhäusern zu betrachten. Die Pflicht zum Qualitätsmanagement scheint einer der Katalysatoren der Verbreitung von MAB zu sein.
Wenn davon ausgegangen werden muss, dass insbesondere äußere Erwartungshaltungen den Boom von MAB in Krankenhäusern initiiert haben, so stellt sich die Frage, wie Krankenhäuser mit MAB umgehen; schließlich scheint deren Durchführung dann nicht vollständig aus eigenem Antrieb zu geschehen. Soziologen haben unter anderem mithilfe des Neoinstitutionalismus zeigen und erklären können, dass institutionelle Rahmenbedingungen in der Lage sind, Strukturen von Organisationen zu beeinflussen und in organisationalen Feldern eine hohe Isomorphie - also Gleichförmigkeit von Strukturen - auszulösen (zum Beispiel Scott 1987; Kieser 1997; Heller et al. 1998; Mizruchi/Fein 1999; Walgenbach/Beck 2000, 2003; Hertwig 2008). Die starke Verbreitung des Instruments MAB kann im beschriebenen Kontext als ein Zeichen einer solchen - zunächst oberflächlichen - Isomorphie begriffen werden. Ob jedoch dieser oberflächlichen Isomorphie der Formalstruktur auch eine Isomorphie des konkreten Handelns im Alltag folgt, ist unterschiedlich diskutiert worden. Zwei Diskussionsstränge lassen sich unterscheiden: In einem ersten Strang wird die Position vertreten, dass Organisationen in Fällen starker äußerer Erwartungshaltungen zwar Formalstrukturen anpassen, diese jedoch vom alltäglichen Handeln entkoppeln. Mit der Anpassung von Formalstrukturen wird externen Erwartungen Rechnung getragen; gleichzeitig werden jedoch Konsequenzen innerhalb der Organisation weitestgehend vermieden, da die Formalstrukturen für das alltägliche Handeln kaum Folgen haben. In einem zweiten Diskussionsstrang wird die Position vertreten, dass die oben skizzierte Art der Entkopplung von Formalstruktur und Handeln nicht auf Dauer gelingen kann. Auf mittlere bis lange Sicht haben Formalstrukturen Konsequenzen für das alltägliche Handeln in der Organisation. Die von außen zu beobachtende Isomorphie der formalen Strukturen bleibt also nicht nur eine oberflächliche Isomorphie.
Ob die in Krankenhäusern so stark verbreiteten MAB nur äußere Formalstruktur darstellen oder ob sie als Instrument tatsächlich auch Veränderungen auf der Ebene täglichen Handelns verursachen, ist bislang nicht umfassend untersucht worden. Äußerer Zwang oder Druck - ausgelöst durch Erwartungshaltungen externer Akteure, wie dem Staat oder Akteuren der Selbstverwaltung - können gut beobachtet werden, doch sind sie speziell in Bezug auf Qualitätsmanagement und MAB bislang nicht umfassend beschrieben worden.
Bevor also im Detail auf das Instrument der MAB eingegangen werden kann, gilt es im Rahmen dieser Arbeit in einem ersten Schritt das organisationale Feld der Organisation Krankenhaus zu beschreiben (Kapitel 3.1.1). Diese Beschreibung leistet einen ersten Beitrag zum wissenschaftlichen Diskurs und bildet die argumentative Basis zur Verwendung des Neoinstitutionalismus in der weiteren Betrachtung von MAB als entkoppelte oder nicht entkoppelte Formalstruktur.
Um die Frage nach der Entkopplung von MAB beantworten zu können, werden im weiteren Verlauf der Arbeit zwei Aspekte genauer betrachtet (Kapitel 5.2.1 und 5.2.2):
Zum einen existieren allgemeine Merkmale von MAB, die als Erfolgsfaktoren beschrieben werden können. Dazu gehören zum Beispiel die Definition von Zielen, die Bereitstellung von Ressourcen oder die Festlegung von verantwortlichen Personen für einzelne Aufgabenpakete im Rahmen von MAB. Hierin unterscheiden sich MAB kaum von anderen Projekten, so werden bei den Erfolgsfaktoren Anleihen bei der Projektmanagement- und Change-Management-Literatur gemacht. Bestimmte Arbeitsschritte sollten also durchlaufen werden, wenn eine MAB tatsächlich Wirkungen entfalten soll. Werden diese Schritte in großem Maße explizit und verbindlich durchgeführt, ist die Wirksamkeit einer MAB wahrscheinlich, sie ist dann vermutlich mehr als nur Fassade oder äußere Formalstruktur. Werden die Schritte nicht oder nur sehr vage durchgeführt, kann von einer wirkungslosen oder relativ wirkungslosen MAB ausgegangen werden. Dann handelt es sich vermutlich eher um eine Fassade ohne Wirkungen auf der Ebene des tatsächlichen Handelns.
Zum anderen existiert neben einzelnen Erfolgsfaktoren ein allgemeines Prinzip, das die Wirksamkeit von MAB grundlegend beeinflusst; dabei handelt es sich um die Partizipation der Mitarbeiter. MAB werden durchgeführt, um Veränderungen herbeizuführen. Es sollen damit zum Beispiel Verbesserungen in der Arbeitsorganisation erreicht werden. Veränderungen sind dann nachhaltig, wenn sie von den Mitarbeitern mitgetragen werden und das wird am ehesten erreicht, wenn Mitarbeiter an den Veränderungsprozessen selbst mitwirken, wie später noch dargestellt werden wird (insb. Kapitel 2.2.3).
Partizipation wird in zwei Rollen diskutiert, als Mittel zum Zweck und als Selbstzweck. In ihrer Funktion als Mittel zum Zweck ist Partizipation bereits häufig als Erfolgsfaktor beschrieben worden (zum Beispiel Borg 2003; Liebig 2006). Veränderungen in Arbeitsabläufen oder Organisationsstrukturen können zumeist nur dann umgesetzt und aufrechterhalten werden, wenn Mitarbeiter in den Prozess der Veränderung aktiv einbezogen werden (Bungard et al. 2007; Deitering 2006; Ritter 2003; Kißler et al. 2000; Mayer/Jöns 1998). In der Organisationsentwicklung spricht man davon, Betroffene zu Beteiligten zu machen. Die Partizipation der Mitarbeiter bildet eine quasidemokratische Legitimationsbasis für Veränderungen und hilft bessere Entscheidungen zu treffen.
Die MAB ist neben ihrer Funktion als Steuerungsinstrument oder Qualitätsentwicklungsinstrument (Helou et al. 2002) auch als Partizipationsinstrument (Kißler et al. 2000) beschrieben worden; Partizipation ist in einigen Fällen auch selbst (prozessuales) Ziel der Befragung (Deitering 2006), also gleichsam Selbstzweck. Als Ziel einer MAB steht Partizipation als Wert für sich. Auch in dieser Form ist Partizipation bereits beschrieben worden (Kißler et al. 2000). MAB sollen - neben möglichen anderen Zielen - Mitarbeiter einbinden. Beteiligung wird also generell als erstrebenswert betrachtet und ist beispielsweise in Organisationsleitbildern verankert. Partizipation wird darüber hinaus als Element demokratischer Teilhabe im Unternehmen verstanden (Schnurr 2005; Weber 1999) und implizit oder explizit mit positiven Effekten für die Unternehmenskultur, die Motivation (Benz 2000) oder das Commitment von Mitarbeitern verbunden. So ist bekannt, dass Partizipationsmöglichkeiten und Fehlzeiten in einem Zusammenhang stehen. Mitarbeiter, denen Partizipationsmöglichkeiten gegeben werden, fehlen tendenziell seltener (Walter/Münch 2008).
Ob nun als Mittel zum Zweck oder als eigenständiges Ziel der Befragung, Partizipativität kann als eines der Kernkriterien einer erfolgreich durchgeführten MAB aufgefasst werden. Damit eignet sich die Partizipativität von MAB neben der Betrachtung allgemeiner struktureller Erfolgsfaktoren (siehe oben) ganz besonders als Indikator für Entkopplung, also zur Beantwortung der Frage, ob MAB in Krankenhäusern lediglich Fassaden darstellen.
Neben der Literatur zur Partizipation in MAB und anderen Change-Prozessen haben sich verschiedene Studien mit der Verbreitung von MAB in Wirtschaftsbetrieben - auch in Krankenhäusern - beschäftigt (Hossiep/Frieg 2008; Bungard et al. 1997; Jonas-Klemm/Niethammer 2005). Dabei wurden zum Teil auch die institutionellen Rahmenbedingungen der Verbreitung von MAB betrachtet. Eine gemeinsame Betrachtung der Frage nach der Verbreitung von MAB, der institutionellen Bedingtheit ihrer Verbreitung und der Frage ihrer Wirksamkeit oder Nichtwirksamkeit (zum Beispiel durch Entkopplung) ist bislang nicht vorgenommen worden und stellt eine Forschungslücke dar.
Die Relevanz dieser Arbeit erstreckt sich auf verschiedene Bereiche. So wird zunächst die Verbreitung und Durchführung von MAB in deutschen Krankenhäusern untersucht, und das nicht nur auf einer oberflächlichen Strukturebene, sondern entlang zahlreicher einzelner Arbeitsschritte bei der Durchführung von MAB (Erfolgsfaktoren und Partizipativität). In dieser Tiefe und Breite ist eine solche Untersuchung bislang nicht durchgeführt worden. Damit entsteht eine umfassende Übersicht über die Durchführung und Wirksamkeit von MAB in Krankenhäusern. Gleichzeitig entsteht eine umfassende Übersicht über die Wirkung des QM-Zwangs und möglicher QM-Zertifizierungserwartungen auf MAB.
Darüber hinaus bietet diese Arbeit die Chance Aussagen des neoinstitutionalistischen
Theorieansatzes an einem Organisationstypus (Krankenhaus) empirisch zu überprüfen, für den dieser wie gemacht zu sein scheint. Krankenhäuser sind als Organisationen - gleichermaßen eingebettet in technische wie institutionelle Umwelten - für eine solche Untersuchung prädestiniert (Scott/Meyer 1991). Insbesondere dieser Umstand spricht dafür, die Entkopplungshypothese Meyer und Rowans (1977) mit der Annahme DiMaggio und Powells (1983) zu kontrastieren, dass Formalstrukturen auf Dauer auch Auswirkungen auf das tägliche Handeln entfalten, Entkopplung also mittel- und langfristig nicht durchzuhalten sei.
Diese Arbeit verspricht also, neue Erkenntnisse bezüglich der Isomorphie von MAB in Krankenhäusern und QM-Zertifizierungen im Krankenhaussektor zu liefern. Sie liefert darüber hinaus Erkenntnisse darüber, wie wirksam MAB in Krankenhäusern unter den gegebenen Umständen (Struktur, Planung, Organisation) sein können. Sie beantwortet damit die Frage, ob es sich lediglich um Fassaden (Formalstruktur) handelt oder ob es tatsächlich auch Auswirkungen auf das alltägliche Handeln in der Organisation Krankenhaus gibt. Letztendlich versucht diese Arbeit anhand von Kontextfaktoren zu erklären, unter welchen Umständen MAB eher Fassaden bleiben und wann sie tatsächlich zu Konsequenzen auf der Ebene des alltäglichen Handelns führen. Diese Kontextfaktoren werden insbesondere in der organisationalen und institutionellen Umwelt von Krankenhäusern gesucht.
Damit werden folgende Fragen forschungsleitend:
- Wie lässt sich die Verbreitung von QM-Zertifikaten und MAB anhand der institutionellen und organisationalen Umwelt erklären?
- Sind MAB in Krankenhäusern lediglich Fassaden oder haben sie tatsächlich Konsequenzen für das alltägliche Handeln in Organisationen?
- Lassen sich Konsequenzlosigkeit oder Wirksamkeit von Mitarbeiterbefragungen über Aspekte der institutionellen und organisationalen Umwelt vorhersagen?
Im Folgenden wird ein Überblick über den aktuellen Forschungsstand gegeben (Kapitel 2). Dabei wird zunächst beleuchtet, was unter einer MAB zu verstehen ist (Kapitel 2.1). Es wird dafür entlang der Literatur ein weites Feld möglicher Formen aufgespannt, das dann anhand der in der Praxis verbreiteten Formen eingeengt wird, so dass zuletzt ein forschungsleitender Referenztyp einer MAB entwickelt werden kann. Vor der Folie dieses Referenztypus können die beobachteten MAB bezüglich ihrer äußeren Struktur, ihrer organisatorischen Umsetzung und ihrer Partizipativität untersucht werden. Daran schließt sich ein Kapitel zur Verbreitung von MAB an (Kapitel 2.1.3).
MAB werden nicht allein bezüglich ihrer äußeren Struktur oder organisatorischen Umsetzung beobachtet, sondern insbesondere auch bezüglich ihrer Partizipativität. Die Rolle, die ein partizipatives Vorgehen in Organisationsentwicklungsprojekten und Veränderungsprozessen allgemein spielt, ist bereits oben angedeutet worden. Daher wird auch der Begriff der Partizipation näher beleuchtet (Kapitel 2.2). Es gilt, eine Übersicht über die umfassende Literatur zu diesem Thema zu gewinnen. Dazu wird zunächst der Partizipationsbegriff allgemein aufgegriffen, um diesen dann später auf Partizipation im Rahmen von Organisationsveränderungsprozessen und, noch spezieller, von MAB beziehen zu können.
Es folgt die Darstellung des theoretischen Konzepts (Kapitel 3). Nach einer allgemeinen Darstellung der wesentlichen Aussagen des neoinstitutonalistischen Ansatzes folgt eine detailliertere Auseinandersetzung mit dem Begriff der Isomorphie (Kapitel 3.1), zu der die Beschreibung des Feldbegriffes (Kapitel 3.1.1) gehört, der sodann auf die Fokalorganisation Krankenhaus bezogen wird. Ergänzt wird die Beschreibung der Isomorphietreiber ›Zwang‹, ›Mimese‹ und ›normativer Druck‹, die anschließend ebenfalls auf den Untersuchungsgegenstand bezogen werden (Kapitel 3.1.3.1 bis 3.1.3.3). Neben dem Isomorphiebegriff wird das Konzept der Entkopplung beschrieben und auf MAB in Krankenhäusern bezogen, indem Indikatoren einer Entkopplung von MAB entwickelt werden (Kapitel 3.2). Entkopplung durch geringe Partizipativität wird als ein Spezialfall in Kapitel 3.3 beschrieben.
In Kapitel 4 werden der Fragebogen, die Datenerhebung und der Datensatz vorgestellt. Mit Hilfe des Datensatzes wird dann in Kapitel 5 die Überprüfung der Hypothesen vorgenommen. Dazu wird zunächst die Frage der Verbreitung von QM-Zertifikaten betrachtet, bevor der Aspekt der MAB-Isomorphie (Regelmäßigkeit der Durchführung) in den Fokus rückt (Kapitel 5.1). In Kapitel 5.2 liegt das Augenmerk dann auf der Hauptfragestellung dieser Arbeit: Handelt es sich nun bei den durchgeführten MAB eher um Fassaden oder doch um wirksame MAB? Entlang einiger Erfolgsfaktoren - insbesondere der Vagheit oder Verbindlichkeit der Durchführung einzelner MAB-Schritte - wird diese Frage in Kapitel 5.2.1 beantwortet. Dazu gehört auch die Vorhersage von Entkopplung oder Nichtentkopplung durch Aspekte der institutionellen Umwelt. In Kapitel 5.2.2 wird dieses Vorgehen anhand des gesondert betrachteten Erfolgsfaktors der Partizipativität der MAB-Durchführung wiederholt.
Kapitel 6 fasst die Arbeit zusammen und enthält neben einem Fazit auch einen Ausblick sowie eine Schilderung der Implikationen dieser Arbeit für die weitere Forschung.